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Allgemein

Allzeit bereit!

By 1. Januar 2000Mai 20th, 2015No Comments

von Désirée Binder

Einsätze mehr als einen Kilometer unter der Erde, Hitze, oft gibt es nur auf Knien ein Durchkommen. Grubenwehren arbeiten unter widrigen Bedingungen. Die Männer machen ihren Job dabei ehrenamtlich. Voraussetzung: Sie müssen absolut fit und gesund sein.

In orangefarbenen, feuerfesten Anzügen mit 15 Kilo schweren Atemschutzgeräten robben und klettern die fünf Männer der Grubenwehr Ibbenbüren durch die engen Stollen. Oft ist es so niedrig, dass sie die Geräte abnehmen und vor sich herschieben müssen. Die Luft ist heiß und feucht. Immer wieder machen sie Pausen, damit keiner zurückbleibt und der Körper sich erholen kann. Plötzlich tauchen Rauchschwaden auf. Die Männer können das Ende der Leiter kaum erkennen. Schnell bauen sie eine Verbindung mit ihrem Oberführer auf. »Bereitschaftsstelle? Hier Truppführer Lüttmann. Wir haben Rauch gesichtet.« Die Antwort kommt sofort: »Bereitschaftsstelle hier, das Feuer ist schon gelöscht. Vorrücken.«

In der Bereitschaftsstelle sitzt Oberführer Michael Brenningmeyer, der erste Mann der Grubenwehr Ibbenbüren. Nach dem Funkspruch dreht er an einem Knopf und die Rauchschwaden verschwinden. Hier im Übungsraum der Grubenwehr kann er die Ereignisse steuern, mit denen es die Kollegen unter Tage zu tun bekommen sollen. »Wir können im Übungsstollen viele Szenarien nachstellen«, erklärt der 50-Jährige. »Neben der Nebelmaschine haben wir künstliche Feuerstellen, die die Kumpel finden und löschen müssen.«
Die Übungen sind anstrengend. Für die Männer heisst das: Fit bleiben. Sonst hält der Körper die Belastungen auf Dauer nicht aus. Jeder Wehrmann muss alle zwei Jahre einen Krafttest absolvieren. Ab dem 50. Lebensjahr jedes Jahr. Vor ihren Übungen müssen sie auf speziellen Fahrrädern fahren, sogenannten Dynavittrainern. Erreichen sie dort nicht den vorgegebenen Wert von 75 Prozent, dürfen sie nicht teilnehmen. »Anhand der Werte sehen wir, ob jemand körperlich fit ist. Ist er es nicht, lassen wir den Mann für Übung und Einsatz nicht zu«, erklärt Brenningmeyer.
Neben Kraft- und Ausdauertraining gehört eine Nothelferschulung dazu. Die wird jährlich wiederholt. »Das liegt daran, dass wir mehr dürfen als andere Nothelfer«, sagt Brenningmeyer. »Wir können zum Beispiel vor Ort einen Guedel-Tubus einsetzen, der hält die Atemwege frei. Das ist wichtig, weil wir unter Tage verunglückte Kumpel oft nicht in stabiler Seitenlage raustragen können.«
Rausgetragen wird heute bei der Übung niemand. Bevor sie in den Übungsstollen dürfen, werden die Männer ausgerüstet und eingewiesen. »Lüttmann, Henrich, Michenbach, Kunz, Windhoffer.« Der Oberführer ruft die Namen der Reihe nach auf, der Erste ist Truppführer. Er übernimmt das Kommando. Die fünf Männer helfen sich beim Verschließen der Maske, sie sind konzentriert, legen ihre Atemschutzgeräte an. Dann folgt der Dichtetest. Truppführer Lüttmann macht die Probe. Bei Kunz muss die Maske nachgezogen werden. Bevor es in den Stollen geht, muss das Herz-Kreislauf-System aktiviert werden. Wie im Fitnessstudio ziehen die Männer an Gewichten.
Im Ernstfall geht das alles sehr schnell, aber nicht weniger gründlich. »In 11 bis 14 Minuten sind wir einsatzbereit, das heisst, voll eingekleidet und auf dem Weg zum Schacht«, sagt Brenningmeyer. »Unter Tage kann es allerdings bis zu einer Stunde dauern, bis die Männer vor Ort sind.« Trotzdem ist schon Hilfe dort: »Viele bei uns auf der Schachtanlage haben eine Ersthelferausbildung.«
Bei 36 Grad Celsius und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit macht sich der Trupp auf in den 310 Meter langen Stollen und sucht nach der Messstation. Es rumpelt, poltert, das Holz des Stollens knarzt. Nach rund 40 Minuten meldet Lüttmann: »Wir sind an der Messstation.« Im Dämmerlicht prüfen die Männer Temperatur, Luftfeuchtigkeit und den Gehalt von Kohlenstoff, Kohlenstoffdioxid, Methan und Sauerstoff in der Luft. »Werte sind ohne Besonderheiten«, meldet der Truppführer. Nach 55 Minuten ist die Übung beendet.
Bis ein Wehrmann eigentlich voll einsatzfähig ist, muss er bis zu zwei Jahre verschiedene Übungen durchlaufen. »Wir machen das hier aus Tradition ehrenamtlich«, sagt Brenningmeyer. »Eine Berufsgrubenwehr ist bei den wenigen Einsätzen auch nicht nötig. Die Kumpel arbeiten normal Schicht. So kennen sich alle auch unter Tage gut aus.« Da die deutschen Bergwerke die sichersten der Welt sind, muss die Grubenwehr nur selten los. »Dieses Jahr musste wir einmal ausrücken, um ein Glutnest unter Tage zu löschen«, sagt Brenningmeyer.
Heute wurde nichts gelöscht. Die Grubenwehrmänner haben rote Gesichter. »Man schwitzt nach«, erklärt Hubert Lüttmann. Trotz der Anstrengung ist der Trupp guter Laune. »Hier hält jeder zusammen«, sagt Betriebsratsmitglied Stefan Henrich. Das Helfen motiviert die Fünf. »In 1300 Metern Tiefe ist man froh zu wissen, dass, wenn etwas passiert, einer im orangefarbenen Anzug kommt«, sagt Maschinensteiger Ralf Michenbach. »Wer in das Bergwerk einfährt, kann sicher sein, dass ihn im Notfall immer jemand rausholt.«